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[100 Tage, Timeline]

Sich um sich selbst kümmern – im Nachdenken

»epimeleia heautou« (alt griechisch) Sorge um sich selbst. Sich um sich selbst kümmern. »gnothi seautou« (alt griechisch) Erkenne Dich selbst.

„Buddha is derived from a Sanskrit root verb which means „wake up.“ This is another way of saying „attain your true self.“ When you attain your true self, you become Buddha. But Buddha is not something special, and it is not something outside you. Buddha means that if you attain your true self, you attain your own mind. An eminent teacher once said, „Mind is Buddha; Buddha is mind.“ So how can you attain your true self?“

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Damit ich mich, um mich selbst „kümmern“ kann, muss »ich mich« zuerst erkennen - ein untrennbare Zusammenhang. Da ich nicht weiß, was mein »ich« ist, habe ich die „tägliche Praxis“ als möglichen Zugang zum Selbst in den Mittelpunkt meiner Arbeit gestellt. Mein Ansatz der täglichen Praxis liegt im Vertrauen der Wiederholung: die Wiederholung ist der einzige Weg, etwas zu verinnerlichen und zu verwirklichen. Eine ständige Abfolge einer Tätigkeit, die Wiederholung, kann aber kein exaktes Abbild der Wirklichkeit sein. Alleine, weil die vorherige Tätigkeit schon in der Vergangenheit liegt. Durch diese Differenz, der ständig gleichen Abfolge und der Abweichung der Abfolge findet eine Variabilität statt; daraus kann sowohl ein sich behindernder Konflikt als auch ein Vorankommen entstehen. Die Wiederholung wird von ihrer eigenen Motorik getrieben. Hierzu muss sie angestoßen werden.

Foucault vermittelt die verschiedene Art und Weise des „Selbstkümmerns“ in seinem Buch „Hermeneutik des Subjekt“. Hier wurden die abendländische Denkweisen und Praxisformen über „sich um sich selbst kümmern“ in diachronischer Ansicht in seinen letzten Vorlesungen dargestellt. Dieses Buch begleitete mich bei der Entstehung meines Projektes.

Die Seele wurde im Altgriechischen als das Subjekt betrachtet. „Jeder Mensch muss sich Tag und Nacht, sein ganzes Leben lang um seine Seele kümmern.“31 Foucault stellte die „Seele“ in

The Compass of Zen, S.25
Epikur, Brief an Menokeus (Hermeneutik des Subjekts, S.24)

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unterschiedlichen Ansichten vor; Seele, die Unsterbliche ;„Im Phaidon gibt es die berühmte Stelle: Wenn die Seele unsterblich ist, dann »epimeleias deitai«32 (sie bedarf der Sorge, der Pflege, der Zuwendung usw.). Wenn im Alkiabides die Formulierung auftaucht: »Was ist also dieses Selbst, um das wir uns sorgen müssen? – nun, das ist die Seele«.“ 33 , und die Seele nach Sokrates; „das einzige Element, das sich tatsächlich des Körpers, der Körperteile, der Organge des Körpers und infolgedessen der Werkzeuge und schließlich der Sprache bedient.“34

Im Buddhismus, ist »Ich« ein sich ständig veränderndes Konstrukt der Körperlichkeit, der Gefühle, der Wahrnehmungen, der Geistesformationen und des Bewusstseins. Es besteht niemals in einer fest definierten Form. Daher kann kein »Ich« existieren, sondern nur ein unbeständiger Zustand. Aus diesen beiden Lehren ergibt sich die zentrale Frage: WAS IST DIESES »ICH«?

Auch wenn sich das »Ich« in anderen Philosophien und Religionen anders darstellt, wie „das Wahre Selbst, die Gottheiten, die Bewegungslosigkeit der Seele, true self, non-moving self“ oder ähnlichem, so fokussiert sich doch die Suche nach dem wahren »Ich« auch hier, auf diese zentrale Fragestellung.

Nach und nach konnte ich meine Praxis in der Literatur identifizieren. Besonders in der abendländischen bei Sokrates sowie Senecas, in der morgenländischen bei der Zen Lehre. Zwei Lehren, die meinen Lebenslauf parallel durchzogen haben. In Korea geboren, christlich (westlich) aufgewachsen, nach Deutschland gekommen, jetzt eher buddhistisch lebend. Ich wollte die beide Richtungen der Weisheit erfassen, deren Überschneidungen erkennen und »mich« als Subjekt und Objekt erforschen und prüfen. Denn sich um sich selbst kümmern, ist unmittelbar auf die Praxis bezogen. Foucault stellt dafür zahlreiche abendländische „techne“ vor, die im übertragenen Sinne im Buddhistischen die Meditation ist. Eine Reinigungstechnik, die in der altgriechischen, hellenischen und römischen Epoche häufig ausgeübt wurde, ist „die bewegliche Seele - der Atem, das pneuma“ zu bündeln und in sich zu verankern. Er schrieb: „Das pneuma, die Seele müssen zusammengetragen, vereinigt und zusammengefügt werde, damit sie eine Existenzweise, eine Solidarität erhalten, die ihnen erlaubt, das ganze Leben lang zu dauern, zu bestehen und zu widerstehen und im Todesaugenblick gesammelt zu sein.“35 Diese Atemtechnik des Zusammenführens als Praxis erscheint genauso in anderen Zeit-/Lebensräumen wie beispielsweise in der buddhistischen Meditation, im Yoga.

Eine andere überschneidende „techne“ - Seelenpraktik konnte ich anhand eines Erlebnisses selbst erfahren und im Nachhinein identifizieren: Im Aufsatz sowohl ”Loslassen, von Moment zu Moment leben” als auch „Bereitschaft“ schrieb ich von meiner Kontemplationen über Beinahe-

Platon, Phaidon (Hermeneutik des Subjekts, S.79) Hermeneutik des Subjekts, S.79
Ibid. S.82
Hermeneutik des Subjekts, S.7

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Todeserfahrungen. Sie kann im Sinne der “melete thanatou, die Meditation oder das Einüben des Todes“36 oder memento mori interpretiert werden, die bei Stoikern oft geübt und besonders von Seneca in seiner Wichtigkeit betont wurde: „Das lange Leben so zu leben, als wäre es so kurz wie ein Tag, und jeden Tag so zu leben, als sei das ganze Leben darin enthalten.“37 Bei Marc Aurel ist das buddhistische Prinzip „von Moment zu Moment Leben“ deutlich wiedererkennbar, in dem das Selbst durch „jede Tat, als wäre es die letzte des Lebens“38 zur Vollkommenheit gebracht werden kann.

Dennoch kam ich oft in Verwirrung durch die beiden Lehren. Die suche nach einem wahren »Ich« stehen im methodischen Gegensatz: das Praktizieren des Denkens versus das Loslösen vom Denken.

„Our true nature cannot be found in books and academic studies because our nature is before speech and words. It is before thinking. If you find that before-thinking point, then it is possible to attain your true self. So, a long time ago, Descartes said, „I think, therefore I am.“ This is where philosophy begins. But if you are not thinking, what? This is where Zen practice begins.“39

Das heißt sicherlich nicht, dass wir das Denken auflösen müssen. Denken passiert ständig; besonders, wenn ich nicht denken will, kommen noch mehr Gedanken - in anderen Worten, ich denke schon viel zu viel. Das „before thinking“ bedeutet „non-attached thinking“, das Abschneiden der Gedankenfolgerungen. „Before thinking“ ist, wenn ich ein Kind sehe, das gerade von einer hohen Rutsche fällt, dass ich sofort beginne zu rennen. In diesem kurzen Moment gibt es keine Zeit zu denken. Und diese unterbewusst eingespeicherte Bereitschaft kann als unsere „basic goodness“, „eigene Gottheit“ verstanden werden, die jede Person von Natur aus in sich trägt. Wenn ich in diesem Moment nicht sofort loslaufe, sondern stehen bleibe, fange ich an zu denken: „...oh armes Kind, wo bleibt bloß seine Begleitung?... Soll ich jetzt zu ihm gehen?... Vielleicht ist es unverletzt, es sollte ja auch Selbständigkeit erlernen...“ Hier fängt mein Leiden an: „...ich hätte doch zu ihm gehen müssen... Du bist kaltherzig... Aber als ich Kind war...“ Das ist „attached thinking“, der Zugang zum Leiden.

„How do you care for yourself?“ Im Retreat haben wir gelernt, wie wir durch diese Frage uns vom Leiden befreien können. Die Teilnehmenden und ich mussten uns mit dieser Frage beschäftigen. Eine zweier Übung bestand darin, die gegenüber liegende Person immer wieder diese gleiche Frage zu stellen und die Antwort aufzunehmen. Nach 5 Minuten wechselte das Prozedere. Selbst von der gleichen Person kamen immer wieder andere Antworten auf diese Frage, sodass ich erkennen

Ibid. S.614
Ibid. S.614
Ibid. S.615
The Compass of Zen, S.208

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konnte, dass es verschiedene Wege, Möglichkeiten und Lehren gibt, das wahre »Ich« zu finden und sich zu befreien. Jede Person sollte daher für sich selbst geeignete Wege suchen und kontinuierlich praktizieren.

don ́t know. Die mir verinnerlichte Frage und Antwort gibt mir die Zuversicht der Unwissenheit, und den Mut zum only go. Auch Foucault ermutigte mich: „Er muss die Tatsache erfahren - und dies geschieht durch die sokratische Leitung-, dass er nicht weiß, und zugleich muss er erfahren, dass er mehr weiß, als er weiß. Diese Anleitung arbeitet mit der Unwissenheit, ...So wahr es ist, dass wir nicht wussten, dass wir nicht wussten, ebenso wahr ist es auch, dass wir nicht wussten, dass wir wussten.“40

Heute Morgen (Tag +17) las ich über banksys Vernichtungsperformance seines Bildes bei Sotherby ́s Auktion. Er habe es geplant; habe einen Schredder in das Bild gebaut. Und in dem Moment als das Bild verkauft wurde, habe er (Er sei am Ort gewesen) die Vernichtung veranlasst.41 Ein Moment des Zens. Mich interessiert dieser Moment des Erstaunens. Ob das Bild jetzt deswegen noch teurer wird, ist die Folge des Denkens, des Handelns, des Handelns des Handels. Es wird mit Sicherheit Leiden bei jemandem erzeugen. Im ersten Augenblick, als das Bild zerstört wurde, war nur das Staunen da [Oh!], bevor das Denken, das Verständnis einsetzte.

[Ah!] Das ist der Moment ohne Namen, ohne Formen. Der Moment des „Mind-Blowing“, der Moment der Leerheit. Zen. Zen ist auch nur ein willkürlicher Name, um dieses Phänomen zu benennen. Ich suche danach, um diesen Moment des [Ah!]s, des Nicht-Denkens in meiner künstlerischen Arbeit zu präsent-ieren. Heute zeigte mir banksy einen Weg der Möglichkeit.

In meinem Text verwendete ich oft dieses Zeichen; [!] don ́t know, ein [Oh!], ein [Ah!], wenn eine „Soheit“ in den Momenten (kürzer als Blitze) erschien: „Soheit oder So-Sein bezeichnet in der Zen-Literatur das Formlose und Unbeschreibbare: eine Wahrheit, Wirklichkeit oder Erfahrung, die nicht durch Worte ausgedrückt werden kann. Es ist das »So«, »Was« oder »Es«, das in sich selbst evident ist und keiner Erklärung bedarf. Es ist letztlich das Sein, so wie es ist, die allumfassende Wirklichkeit, die sich als eine Erfahrung der Präsenz manifestiert ... Es ist das Dasein, das lebendige Leben selbst.“42

Als Übung klatsche ich einmal laut in die Hände [Klatsch!], um diesen Moment zu erfahren - wenn ich es getan habe, liegt die Soheit schon in der Vergangenheit. Dennoch übe ich es weiter, damit ich [!] immer wieder erfahre. Meine Praxis geht weiter, auch in diesem Augenblick des „don ́t know – only do – nur schreiben“ nach der „Soheit“, die ich nur schwer in meinen eigenen Wort erfassen kann:

Hermeneutik des Subjekts, S.168

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/banksy-kunstwerk-zerstoerte-sich-sofort-nach-versteigerung-bei-sotheby-s- selbst-a-1231896.html

Das Zen der Kreativität, John Daido Loori, S.142

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Im Zen Kontext wird die Frage nach der Wahrheit, dem Erwachen so beantwortet: „Was ist Buddha?“ Ein Mönch sagte, „three pounds of flax“, ein anderer „Dry shit on a stick“, ein anderer „the cypress tree in the garden“. Einer hob nur seinen Zeigefinger hoch, ein anderer sagte „Trinke eine Tasse Tee“.43 Wenn ein Selbst erwacht ist, hält es jeden Moment Spiegelklarheit im Zustand des All-Ein-Seins. Alles, was das wahre Selbst in dem Augenblick wahrnimmt, ist gleich Buddha. Die Erscheinung der Erwachtheit ist überall. Denn dafür gibt es keinen Namen. Sobald diese „Soheit“ in Sprache geäußert wird, ist sie schon nicht mehr [!] (Soheit). Und diese Erkenntnis wird nur durch die eigene Praxis erlangt. Deswegen wird [!] im Zen in »Gong-an« als Frage formuliert, um die Eigenpraxis zu überprüfen.

In Nancys Beschreibung befindet sich eine Stelle, die meine synthetische Erkenntnis von abendländischen Philosophie und morgenländischen Zen re-präsentiert. Hier entfaltet das Subjektbild eine Klangwelt: Präsenz sein – sich spüren – hin und her mit und ohne Denken – Loslassen des Selbst – als (Re-Re-Re-Re-Re-)Resonanz im Universum.

„Ein Selbst ist nichts anderes als eine Form oder Funktion des Verweisens: Ein Selbst besteht aus einem Bezug zu sich oder aus einer Selbst-Präsenz, Präsenz zu sich, die nichts anderes ist als das gegenseitige Aufeinander verweisen einer sinnlichen Individuierung und einer Intelligiblen Identität (nicht nur das Individuum im gängigen Sinne, sondern in ihm die besonderen zufälligen Gegebenheiten, die Okkurrenzen eines Zustandes, einer Spannung oder, ganz genau, eines »Sinnes«) - müsste dieser Verweis selbst auch unendlich sein, und müsste der Punkt oder die Okkurrenz eines Subjekts im Substanziellen Sinne auch immer nur im Verweis Statt haben, also in der Verräumlichung und der Resonanz, und obendrein als Punkt ohne Ausdehnung des Re- dieser Resonanz: die Wiederholung in der der Klang sich verstärkt und ausbreitet, und ebenso die Kehrwendung, in der er zum Echo wird und sich vernehmen lässt. Ein Subjekt spürt sich: Das ist seine Eigenheit und seine Definition. Das heißt, es vernimmt sich, sieht sich, berührt sich, schmeckt sich usw. und es denkt oder repräsentiert sich, näher und entfernt sich von sich selbst. Und somit spürt es sich immer ein »Selbst« spüren, dass sich entgeht oder sich verschanzt und anderswo widerhallt wie in/an sich, in einer Welt und im anderen.“44

Schließlich sollte „die Sorge um sich“ lebenslang dauern. „»Will man so leben, dass man dem Heil näher kommt, muss man sich ununterbrochen um sich selbst sorgen.« (Musonius Rufus). »Um ein vollendeter Mensch zu werden, muss sich ein jeder sein ganzes Leben lang üben« (Galen)“45 Foucault sieht, sich um sich selbst zu sorgen als eine Lebensform. „Alkiabiades wurde sich bewusst, dass er sich, weil er sich um die anderen kümmern wollte, zunächst um sich selbst zu sorgen hatte.“46 Genau so wie es im Zen gelehrt wird; alles, jeden Moment, was das »Wahre Ich« tut, hilft

The Compass of Zen, S.257-260 Zum Gehör S.19-20
Hermeneutik des Subjekts, S.602 Hermeneutik des Subjekts, S.603

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allen Lebewesen. Denn alle Grenzen zwischen den Subjekten und den Objekten zerfliessen und werden im „von Moment zu Moment“-Leben aufgehoben.

Und was ist nun mit »mir«?

„Vielleicht muss der Sinn nicht bloß Sinn machen (oder logos sein), sondern überdies klingen.“47

»Ich« werde langsam in meiner Reise zum Selbst aufgelöst. Ein Wort ist zu viel und zu wenig um dies zu beschreiben. Wie Cages Papagei wiederhole ich – ich habe nichts zu sagen. Wenn ich diesen Satz sage, wird dieses „Nichts“ wieder etwas. Ich kreisele und kreisele und schwimme in der Grenzenlosigkeit. [!] [Oh!] [Ah!] [Klatsch!]

„don ́t know. Only go straight. And help all living beings.“

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Zum Gehör, S.14

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